Das Drachenlied by Alexander Nix

Das Drachenlied by Alexander Nix

Autor:Alexander Nix [Nix, Alexander]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
veröffentlicht: 2010-11-07T23:00:00+00:00


Wenig später hockten sie unweit eines Waldweges in dornigem Dickicht. Ein besonders scheußlicher Stachel, so lang wie ein Finger, ragte unweit von Alberichs Gesicht aus den Büschen. Bei jeder Bewegung drohte er sich in seine Nasenknolle zu bohren. Der Zwerg fluchte leise.

»Psst!« flüsterte Geist und hob einen umwickelten Finger vors Gesicht. »Mach nicht so einen Krach.«

»Du hast gut reden«, zeterte er. »Es ist ja auch nicht deine Nase, die fast aufgespießt wird.«

»Wenn du weiter so schreist, wird es nicht nur deine Nase sein, die man aufspießt.«

Geist hatte ihn in einem weiten Bogen um die Drachenheide zu dieser Stelle im Wald geführt, mehrere Steinwürfe vom Höhleneingang entfernt. Das Unterholz war hier außerordentlich dicht und verwachsen, ein Hinweis darauf, daß der Drache seine Klippe selten verlassen hatte. Noch immer hatte das Mädchen Alberich nicht verraten, wie es sie beide ungesehen auf den Karren bekommen wollte.

»Hörst du schon etwas?« fragte sie.

»Nur meinen Magen. Ich habe seit anderthalb Tagen nichts gegessen.«

Sie deutete auf ein paar rote Beeren, die vor ihm im Dornbusch baumelten. »Iß die. Ein paar davon werden dich nicht umbringen.«

»Klingt wie ein guter Ratschlag«, erwiderte er verbissen.

Geist kicherte wieder, dann schob sie sich rückwärts aus dem Buschwerk in die Finsternis des Waldes.

»Was tust du?«

»Meine Vorbereitungen treffen.« Sie stand jetzt so weit im Dunkel, daß sie nur noch als bleicher Schimmer zu erkennen war. Sie tat irgend etwas mit ihren Verbänden.

Es dauerte nicht lange, da hörte Alberich aus östlicher Richtung das Knirschen und Rattern von Karrenrädern, durchsetzt von leisem Pferdewiehern. »Es ist soweit«, zischte er nach hinten.

Geist antwortete nicht.

Als Alberich sich umschaute, wurde ihm mulmig. Das Mädchen war verschwunden. Hatte sie ihn im Stich gelassen? Oder gehörte das gar zu ihrem Plan?

»Hier bin ich«, flüsterte eine Stimme. Zu seinem Schrecken kam sie aus der entgegengesetzten Richtung – direkt vom Weg!

Er wirbelte herum, und da war sie. Oder auch nicht.

Sie war nicht unsichtbar, keineswegs, aber das, was sie getan hatte, kam sehr nah an Unsichtbarkeit heran. Erst glaubte er, sie hätte sich mit Erde und Grünzeug beschmiert, doch dann schienen ihm die Farben und Muster zu perfekt, zu vollkommen die Anordnung der unterschiedlichen Töne, die sie fast völlig mit dem Hintergrund verschmelzen ließen. Er verstand nicht, was sie getan hatte, aber es war zweifellos keine natürliche, keine menschliche Angelegenheit.

»Wie machst du das?« fragte er staunend durch die Dornenzweige hindurch.

Statt einer Antwort sagte sie tonlos: »Glaubst du mir jetzt, daß ich krank bin?«

»Wie man’s nimmt.«

»Es ist eine Krankheit. Wenn du dein ganzes Leben so zubringst, ist es die schlimmste Seuche von allen.«

»Auf alle Fälle ist es keine Lepra.«

»Es löst mich genauso auf, zumindest in den Augen anderer.«

»Aber du bist noch da. Ich meine, ich könnte dich doch anfassen, oder?«

Ihre blauen Augen – tatsächlich waren das die beiden einzigen Punkte ihres Körpers, die nicht die Farbe des Hintergrundes angenommen hatten – ruckten herum. »Keine Zeit!« wisperte sie, denn im gleichen Augenblick ratterte der Karren um die Wegkehre.

Alberich sah, daß sie unrecht gehabt hatte. Der Wagen war bewacht – von einem halben Dutzend schwerbewaffneter Krieger. Wahrscheinlich eine Folge seiner Flucht.



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